Friedrich Kiels Oeuvre umfasst zahlreiche Musikgattungen, wobei die Instrumentalwerke (83) in der Anzahl deutlich gegenüber den Vokalwerken (17) überwiegen. Zu Lebzeiten Kiels erschienen u. a. 88 mit Opuszahlen versehene Kompositionen im Erstdruck; die Opuszahlen reichen von 1 bis 83, wobei op. 1 zweimal vergeben ist und vier Opuszahlen jeweils zwei Werke umfassen.
Der Schwerpunkt von Kiels Schaffen liegt in der Kirchenmusik, der Kammermusik sowie der Klaviermusik, dazu gesellt sich eine kleine Anzahl an Orchesterwerken, Liedern sowie Solokonzerten. Die Gattungen Oper und Symphonie fehlen völlig. Insbesondere Kiels kirchen- und kammermusikalische Werke erfuhren durch Zeitgenossen eine große Wertschätzung; so betitelte 1886 Otto Gumprecht, der Berichterstatter der Berliner Nationalzeitung, Friedrich Kiel „als den bedeutendsten Kirchenkomponisten der Gegenwart und als den zweiten nächst Brahms von den neuesten Meistern der Kammermusik“.
In Kiels kirchenmusikalischem Schaffen finden sich große geistliche Werke wie die Missa solemnis op. 40, zwei Requien (op. 20, 80) und zwei Oratorien (op. 60, 83). Das Christus-Oratorium op. 60, das im 19. Jahrhundert in der Aufführungsanzahl von Chorwerken nur von Beethovens Missa solemnis übertroffen wurde, gilt bis heute als Kiels bedeutendstes Werk.
Seine Kammermusik ist durch Formenvielfalt geprägt; jedes Werk ist einzigartig gestaltet. Neben vier Streichquartetten gibt es ungewöhnlich viele (27) Klavier-Kammermusikwerke, die bevorzugt die Besetzung für Klavier und 1-5 Streichinstrumente haben. Immerhin zwei Drittel seiner Kammermusik ist als Sonatenzyklus konzipiert, wobei die Präferenz bei den Violinsonaten und Klaviertrios liegt. Nur ein Drittel ist hauptsächlich als freie Tanzfolge oder als lyrisch geprägtes Charakterstück komponiert.
In Kiels Klaviermusik fehlt hingegen die Gattung der Klaviersonate, wenn man von unveröffentlichten Kompositionsversuchen absieht. Sein bekanntestes Klavierwerk trägt den Titel Variationen und Fuge f-Moll op. 17; formal auffallend ist die Suite op. 28, deren erster Satz eine einsätzige Sonate darstellt. Daneben gibt es viele Klavierzyklen mit Charakterstücken in freier Form, die opusweise entweder programmatisch oder nach Typus zusammengefasst sind.
Neben den sog. großen Namen gelang es Friedrich Kiel, Traditionsverbundenheit mit eigenständigen Stilelementen zu kombinieren und zudem eine selbständige Stellung im Spannungsfeld zwischen „Brahms-Partei“ (um J. Brahms und R. Schumann) und „Neudeutscher Schule“ (um R. Wagner und F. Liszt) einzunehmen. Die Befürworter der jeweiligen Stilrichtung lieferten sich ab ca. 1860 hitzige Diskussionen, wer die Musik stärker beeinflusst.
Kiel respektierte beide Stilrichtungen, war jedoch stets auf seine stilistische Eigenständigkeit bedacht. Aus heutiger Sicht betrachtet sind seine Werke in der Tendenz eher in der Tradition von Brahms und Schumann gehalten. Für Brahms und Kiel war die Kombination von klassischer Formklarheit, d. h. von klarer formaler Gliederung, und romantischer Ausdruckskraft wichtig; dies ging einher mit der Komposition einer großen Anzahl von Werken, die als Sonatenzyklus konzipiert sind. Wie Brahms verwendete Kiel in mehreren Kammermusik- und Klavierkompositionen Volkslieder bzw. volkstümliche Themen und in seinen späten Kammermusikwerken Brahms‘ Verarbeitungstechnik der „entwickelnden Variation“. Der zwar geringere, aber nachweisbare Einfluss der „Neudeutschen Schule“ lässt sich in Kiels Werken an den Stellen erkennen, an denen eine Tendenz zur Auflösung der Form feststellbar ist. So verwendete Kiel in zwei Drittel aller kammermusikalisehen Werke zwar die traditionelle Sonatenform, weichte stellenweise den klassischen Rahmen aber auf z. B. durch rezitativartige Einschübe, ineinander übergehende Sätze, Dreisätzigkeit ohne langsamen Mittelsatz oder durch Fünfsätzigkeit.
Neben Brahms und (in geringerem Umfang) „Neudeutscher Schule“ waren Bach sowie Beethoven wegweisend für Kiels Werke: Bach vor allem in der Polyphonie und Kontra-punktik, Beethoven in der für jede Komposition individuell ausgestalteten Formgebung.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Susanne Büchner (Heidelberg).
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